Freund

Ein Vöglein nistet tief in meiner Brust

Ein Vöglein nistet tief in meiner Brust,
An ihm hat meine Seele ihre Lust.
Ach, lebte sie nicht , möcht' auch ich nicht leben,
Der Tod allein wär' dann mein eifrig Streben.
Doch hat den Fuß der Fallstrick mir umwunden, 
Wie Vieh, geführt zur Schlachtbank, wird gebunden.
Im Mühsalstiegel werd' ich nun geläutert,
Die Seele auf der Wandrung Bahn geschleudert.
Weh mir, so muß in Edom ich verweilen!
Doch möge Gott die Wunde nie mir heilen,
Sollt' Deine Huld aus meinem Mund je weichen,
Die Liebe ich aus meinem Herzen streichen.
Der Klage macht das Auge mir so trübe,
So finster schwarz, daß ich mein weiß Gewand
Mit meinem Auge habe schwarz gebrannt.
Doch fesseln jetzt mich des Geschickes Ketten,
Vielleicht wird Gott - noch harr' ich - mich erretten,
Das Leid in meiner Tränen Flut versenken,
Dem schon Verschiednen neues Leben schenken

Jehuda ha-Levi

Original von Jehuda ben Samuel ha-Levi (1074 – 1141), sephardischer Arzt und Philosoph, hebräischer Dichter

Übersetzer: Abraham Geiger (1810 – 1874), deutscher Rabbiner Historiker, Gründer des Reformjudentums, Übersetzer, Schriftsteller

An den Bach

Was rauschst du vor mir dahin,

An den Bach

Was rauschst du vor mir dahin,
Du kühle, klare Fluth,
Von dieser Silberpappeln Grün
Beschirmt vor Sonnengluth?
Du eilst in jenes stille Thal,
Wo die drey Erlen stehn -
Ach dorthin, wo zum letzten Mahl
Ich Wilhelm jünst gesehn!

Es war ein schöner Frühlingstag,
So schön wird keiner mehr;
Im reinsten goldnen Licht lag
Die Gegend um uns her.
Die Sonne sank, ihr letzter Schein
hüllt' in ein Veilchenblau
Des Berges bewachten Gipfel ein,
Und schimmert' an der Au.

Da standen wir, du lieber Bach,
An deinem grünen Bord,
Und sahn dem Spiel der Wellen nach,
Und wagten nicht ein Wort.
Der Schmerz der nahen Trennung goß
MIr Schauer druch das Blut,
Und manch entschlürpftes Thränchen floß
Still in die kalte Fluth.

Da both er eine Rose mir,
Die er vom Strauche brach,
Ach, unbeschreiblich ist, was hier
Sein blaues Auge sprach!
Nun ist er fort, die Rosenzeit
Ich bin, die Blüthe leer -
Doch jenen Blick voll Zärtlichkeit
Vergess' ich nimmermehr!


Caroline Pichler

Caroline Pichler, geborene Greiner (1769 – 1843), österreichische Schriftstellerin, Lyrikerin, Salonniére, Kritikerin

Winternacht

Lichtlein in Nacht verglüh’n

Winternacht
(vom Liebchen)

Hu, wie in kalter Fluth
Rinnet das heiße Blut,
Nachtfrost durchschüttelt mich,
Winter ist fürchterlich.

Athem aus off'ner Gruft
Strömet die eis'ge Luft,
Schlägt an die Wange rauh,
Färbt mir die Locke grau.

Sieh' wie die Schatten zieh'n,
Lichtlein in Nacht verglüh'n,
Alles ist todt und weiß,
Bin wohl allein nur heiß?

Echo vom Abschieds-Gruß
Seufzt unter meinem Fuß,
Trägt mich von Lust durch Graus
Heim zu dem öden Haus.

Schnee in dem weißen Arm
Halt' mir die Knospen warm!
Liebchen an deiner Brust
Ließ ich des Lebens Lust.

Kalt auch das Stübchen?
Warm sind die Lieder -
Gute Nacht Liebchen!
Ich seh' dich wieder!


Karoline von Fidler

Karoline von Fidler (1801-1874), deutsche Dichterin. andere Namen: Karoline Winkler, Karoline Charlotte Schultz


Täubelei

Ich schaute dir in’s Auge schnell

Täubelei

Ich schaute dir ins's Auge schnell,
Du blicktest gar zu mild,
Und lieblich sah ich, klar und hell,
Darin mein eig'nes Bild.

In eine wunderbare Flut
Von Farben war's getaucht,
Von Licht und Glanz die Zauberglut
Darüber hingehaucht.

Da wurde dir das Auge freucht,
Und perlenklar und rein,
Trat eine Träne, schnell erzeugt,
Licht in das Licht hinein.

Mein Bild, als wär's mit Flut und Wind,
Es kämpfte frei und krank
Mit deiner Träne, bis es lind
In ihrem Schoß versank.

So dir im Auge, wundersam
Sah ich mich selbst entsteh'n,
Und, als die stille Träne kam,
Noch schöner mich vergeh'n.

Friedrich Hebbel

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker