Kein Bedauern, Rufen und kein Klagen

Wanderlust, dein Geist flammt immer rarer

Kein Bedauern, Rufen und kein Klagen,
Die weißen Blütenträume sind vorbei.
Welkend muß man goldne Blätter tragen.
Jung? Ich werde es nicht länger sein.

So wie früher wirst du nicht mehr pochen,
Herz, erfaßt vom kalten, rauen Reif,
Und das Land, aus Birkenbast geflochten,
Lockt nicht mehr, es barfuß zu durchstreifen.

Wanderlust, dein Geist flammt immer rarer
Von den weiten Lippen, bald ist Schluß.
Meine Frische konnt ich nicht bewahren,
Der Augen Wildheit, der Gefühle Überfluß.

Geizig bin ich mit dem Wünschen heute,
Du, mein Leben? träumte ich dich nur?
Frühjahrshatz, und ich, der junge Reiter
Auf rosenrotem Roß, verlor die Spur.

Wir alle sind bestimmt, hier zu verwesen,
Still rinnt Sirup übers Ahornblatt…
Darum seist auf ewig du gepriesen,
Daß du kamst zu blühen und dann starbst.

Sergei Alexandrowitsch Jessenin

Sergei Alexandrowitsch Jessenin (1859 – 1925), russischer Dichter

Übersetzt aus dem russischen ins Deutsche von Paul Celan

Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.

Frühlingsgedanken II.

Nach solchen Glückes heiligen süßen Spenden

Frühlingsgedanken

II.

Nicht wahr, ihr Alle wünscht, wenn einst die Stunde

Gekommen, wo die andern Wünsche enden,

In eurer Lieben Mitte zu entsenden

Den letzten Hauch vom todesblassen Munde?

Verlangt es mich im tiefsten Seelengrunde

Nach solchen Glückes heilig süßen Spenden,

Muß ich mich an den holden Frühling wenden,

Den einz'gen Freund, mit welchem ich im Bunde.

Und weil kein and'rer Gruß die dunkle Gruft

Mit Liebesschimmer sanft mir wird umfärben,

Wenn nicht sein Gruß als Licht und Sang und Duft,

Möcht ich mir dieses milde Loos erwerben:

Zur Zeit der Blühten und der sonn'gen Luft
An schönen Frühling's schönstem Tag zu sterben!

Betty Paoli

Barbara Elisabeth Babette Glück (1814-1894), österreichische Dichterin, Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin, Publizistin, Sprachlehrerin, Erzieherin,Novellistin. Pseudonyme: Barbara Grund, Betti Paoli, Branitz.

Aquarium

Ach, meine Wünsche tragen

Aquarium

Ach, meine Wünsche tragen
Die Seele nicht mehr an den Strand der Lider
Zur Ebbe von Gebet und Klagen
Sank sie hernieder.

Tief im geschlossenen Auge sie ruht.
Nur ihr Odem treibt matt und weiss
Noch empor an den Rand der Flut
Lilien von Eis ...

Ihre Lippen im Schmerzabgrunde
Schliesst unendliches Wellenspiel;
Und doch blühen aus ihrem Munde
Blumen auf blauem Stil.

Vor ihren Händen mein Blick erbleicht, 
Wenn er der Lilien Spur nachzieht,
Die, von einander unerreicht, Sich tot geblüht.

Und ich weiss, dass der Tod ihr naht,
Faltet sie nur ihre matten Hände,
Allzu schwach zu der Blumen Mahd,
Die keiner mehr fände ...

Maurice Maeterlinck

Graf Maurice (Moorien) Polidore Marie Bernhard Maeterlinck (1862 – 1949) belgischer Schriftsteller, Dramatiker. Literaturnobelpreis 1911.

Glück

Die meisten Menschen suchen ihr Glück

Die meisten Menschen suchen ihr Glück darin, alle ihre Wünsche befriedigen zu können. Wehe dem Unglücklichen, dessen Wünsche erfüllt erden und dem nichts nicht zu wünschen bleibt.

Paolo Montegazza

Paolo Montegazza (1831 – 1910) italienischer Physiologe, Anthrologe, Neurologe, Arzt, Autor