Wie der kleine Affe Jodokus bescheiden wurde

Seht her, ich bin ein Wunderkind!

Wie der kleine Affe Jodokus bescheiden wurde

Der Affenknabe J odokus
Turnt fröhlich durchs Gelände
Und rief: „Es ist ein Hochgenuss!
Ich hab statt Füße Hände!“

Zum Schulhaus hopste er geschwind
Und lernte buchstabieren:
„Seht her, ich bin ein Wunderkind!
Ich schreib mit allen Vieren!"

Er nahm - das freut ihn königlich -
In jede Hand ‘ne Feder
Und kritzelte und dachte sich:
Das kann halt nicht ein jeder.

Doch ach, damit war’s nicht weit her.
Er glaubte, dass er hexe -
Und macht an Fehlern viermal mehr
Und achtmal soviel Kleckse.

Klein-Jodokus, bald kommst du drauf:
So bunt darf man’s nicht treiben.
Drei Hände heb für später auf -
Lern erst mit einer schreiben!

Peter Hammerschlag

Peter Hermann Hammerschlag (1902 – 1942, KZ Ausschwitz), österreichischer Schriftsteller, Dichter, Graphiker, Kabarettist.

Morgengedanke

Mein ruhig Herz und dieser stille Friede,

Morgengedanke 1761

Der Morgen dreht sein heitres Angesichte
Uns lächelnd zu, und weckt mit sanftem Lichte
Die Creaturen an den Tag hervor!
Der Sperling schwazt, die muntern Hähne krähen
Den Lobgesang, und aller Augen sehen,
Zu Gott, der sie ernährt, empor.

Auch ich bin wach, und meinem ersten Blicke
Befehl ich, daß er Dank zum Himmel schicke
Für diese Ruh, für diese sanfte Nacht!
Es ist ein Gott, der diese Welt regieret,
Der aus dem Staub mich wunderbar geführet,
Und der mir Freud und Freunde macht!

Es ist ein Gott! er sah oft meine Zähren,
Und hörte Kinder Brod von mir begehren,
Wann lange schon die Mittags-Sonne schien.
Sie sind dahin, die Tage meiner Plagen,
Und daß nach Brod nicht meine Sorgen fragen;
Dies will mein Gott, dies ist durch ihn

Mein ruhig Herz und dieser stille Friede,Der um mich herrscht, der keinen Tag mich müde
Von Arbeit, oder von Verdrusse, sieht;
Das sanfte Feur, das durch die Adern dringet,
Und dis Gefühl, das in mir denkt, und singet,
Das dank ich dem, der mich durch Güte zieht.

Ich heische nicht aus seinen vollen Händen
Ein grösser Glück. Nicht Reichthum soll er senden,
Nicht eiteln Ruhm und was ins Auge fällt.
Mein Mittelstand, der Rock, der reinlich kleidet,
Ein gnugsam Brod, genossen unbeneidet,
Dies sey mein Theil und bleib es in der Welt.

Anna Luise Karsch.

Anna Luise Karsch, geborene Dürbach (1722 – 1791), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

Du bist die Ruhe, Sicherheit bist du

Mein brennend Antlitz fühl in deinen Händen

Du bist die Ruhe, Sicherheit bist du.
Mein brennend Antlitz fühl in in deinen Händen,
In deinem Kuß still ich mein bitter Schluchzen,
Ich habe ja die Liebe nicht gekannt!

Paul Ernst

Carl Friedrich Paul Ernst (1866 – 1933), deutscher Schriftsteller, Novellist, Essayist, Journalist

Ein jeder Tag wird mir so lang

Es steht ein Baum auf grüner Heid

Ein jeder Tag wird mir so lang.
Ach, wie so schwer die Nacht
Wenn ich sie wieder hingebracht
Traumlos und jesusbang.
 

Der Orgelton beim Abendmahl
Macht mir vor Leid die Wangen fahl
Und betend fall' ich nieder.
Wie duftet süß der Flieder
 

Wie lag das Land in Blüten weiß.
Mir ist bei Gott die Seele heiß
Ich bin so fremd geworden.
Ich hab' der Tage viel verweint,
Bin froh, wenn keine Sonne scheint
Bis an des Todes Pforten.
 

O, käm doch wer und trüge mich
Wohl in ein fernes Land,
Hast mir die Seele wundgebrannt
Ich wollt' dein Buhle schlüge dich.
 

Es steht ein Baum auf grüner Heid
Gar einsam in der Frühlingszeit,
Will träumen, will träumen,
Muß halt sein Glück versäumen.
 

Im Schlaf erschreckt mich dein Gesicht,
Es blinkt das scheue Morgenlicht
Ins Fenster meiner Kammer.
Ich krieche furchtsam aus dem Stroh
Und nehme des Erwachens froh
Die Kutte von der Klammer.
 

Wie liegt das Land in Blüten weiß,
Es kräht der Hahn, es springt die Gais
Wie müd' sind meine Hände!
Du weißt ja nicht, wie Liebe thut.
Oh hätt' ich nur ein Särglein gut
Damit ich Ruhe fände.

Jakob Wassermann

Jakob Wassermann (1873 – 1934), deutscher Schriftsteller