Der Schmetterling und die Blumen

Rastlos schwebt er von einer zur andern

Der Schmetterling und die Blumen

Ich möchte wohl wissen, was der Schmetterling den Blumen zu sagen hat!« sprach Alma zu ihrer Schwester Klothilde. »Rastlos schwebt er von einer zur andern, und wo er sich niedergelassen, da ist es, als glänzten der Blumen Sterne noch einmal so hell und so freundlich, und ich muß dann immer denken, er habe ihnen etwas besonders Liebes und Tröstliches vertraut.«
»Laß den Flattergeist seiner Wege ziehn!« entgegnete Klothilde. »Was wird es sein, das er den Blumen verkündet? Nichts, als daß er sie schön findet und nach diesem Geständnis weiter zu ziehen gedenkt. – O solch ein Schmetterling ist gewiß der ärgste Schmeichler, und darum haben ihn die eitlen Blumen so gern!«
»Ei, liebe Klothilde,« entgegnete Alma, »da glaub' ich denn doch etwas viel Besseres von beiden! Hast du nicht eben bemerkt, wie jener Schmetterling dort die welke Lilie umkreiste und sich zu ihr herabließ, als wollte er ihr ein freundliches Abschiedswort sagen? Sieh, er kommt wieder zurück und beugt sich noch einmal zu ihr herab wie ein Engel des Friedens. Gewiß, die Sprache des Schmetterlings ist von viel ernsterer Bedeutung.«
»Nun, so laß doch hören, was du von ihr verstanden?« begann Klothilde, nachdem Alma das Treiben des Schmetterlings mit ernstem Schweigen betrachtet hatte.
»Lächle nur,« entgegnete jene, »aber mir ist, als wäre der Schmetterling darum so innig mit der Blumenwelt vertraut, weil das Los ihrer Vergänglichkeit ihn rührt und er ihren Schmer; versteht. Wäre es nicht möglich, daß er dazu bestimmt wäre, die Stunde ihres Scheidens mit froher Hoffnung zu schmücken? Er durfte ja nur das Geheimnis seines eignen Lebens den Blumen vertrauen, wie er sein erstes Kleid abgelegt hat und wie ihm darauf ein so viel schöneres geworden ist. – Gewiß, die Blumen fühlen auch ihren Tod, und je reizvoller ihr kurzes Dasein war, desto trüber muß jene Vorstellung für sie werden. Denke dir nun, daß der Schmetterling der Herold des künftigen Lenzes ist, daß er in die welken Blumenherzen den Trost des Wiederaufblühens senkt – bekommt der Leichtbeschwingte dann nicht sogleich eine ernstere Gestalt? Ein Lichtbote der Blumen, ein leuchtender Verkünder des Lebens in der großen Werkstatt der Vergänglichkeit, – o laß dem Schmetterling diese Bedeutung! Sie erklärt so schön seine Liebe zu den Blumen und deren Sehnsucht nach ihm!«
Da drückte Klothilde der Schwester Hand, aber sie lächelte nicht, sondern sprach leise zu ihr: »Deine Vorstellung grenzt gewiß näher an die Wahrheit, als die meine, denn sie ergreift das Herz und öffnet es einer heimlichen Freude. Ich werde fortan nie den Schmetterling sehen, ohne an das Wort zu denken, das er zu den sterbenden, welkenden Blumenherzen spricht.«        

Agnes Franz (1794 – 1843)

Bildnis: Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1794 – 1843). Pseudonym: Agnes Franz

Die Liebe

Ach, was ist die Liebe

Die Liebe

Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!
Sorgenlos, wie Kinder,
Führt sie uns durchs Leben.
Unser ganzes Leben
Flieht mit ihr geschwinder,
Als uns ohne Liebe
Sonst ein Tag verging!
Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!

Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!
Muth gibt sie zur Arbeit,
Hilft sie uns verrichten.
Eine Blumenkette
Werden unsre pflichten,
Und am Thron der Liebe
Hängt der Kette Ring.
Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!

Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!
Unsre Seele hebet
Sich auf ihrem Flügel,
Unsre Seele schwebet,
Neu von ihr belebet,
Ueber Thal und Hügel,
Gleich dem Schmetterling.
Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!

Friedrich Wilhelm Gotter

Friedrich Wilhelm Gotter (1746-1797)deutscher Schriftsteller, Dichter

Der Schmetterling

Dies Wunder der Natur entging

Der Schmetterling
auf einem Vergißmeinnichtchen

Ein Blümchen, das sich zwar nicht mehr
Für unsre Lage schickt,
Hab' ich doch, Freund, von Ungefähr
Für dich jüngst abgepflückt.

Denn wiss', als ich es pflückte, hing
Ein Schmetterling daran.
Ich sah, dass auch ein Schmetterling
Dies Blümchen lieben kann.

Dies Wunder der Natur entging
Dann meinem Blicke nicht:
Drum schick' ich dir den Schmetterling
Und das Vergißmeinnicht.

Gabriele Baumberg

Gabriele Bacsányi (geborene von Baumberg (1785 – 1789), österreichische Dichterin, Schriftstellerin

Der Schmetterling

Wie soll ich nicht tanzen

Der Schmetterling

Wie soll ich nicht tanzen,
Es macht keine Mühe,
Und reizende Farben
Schimmern hier im Grünen.

Immer schöner glänzen
Meine bunten Flügel,
Immer süßer hauchen
Alle kleinen Blüten.

Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.

Wie groß ist die Freude,
Sei's spät oder frühe,
Leichtsinnig zu schweben
Über Tal und Hügel.

Wenn der Abend säuselt,
Seht ihr Wolken glühen;
Wenn die Lüfte golden,
Scheint die Wiese grüner.

Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.

Friedrich Schlegel  

Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel (1772 – 1829), deutscher Schriftsteller, Literatur- und Kunstkritiker, Kulturphilosoph, Altphilologe, Platoniker

Blauvöglein

Einstweilen — laß‘ uns hier weilen

Blauvöglein

Juchhe!! Ju!! - - dem letzten Gipfel zu!!

- Enzianen schimmern auf der Weide;
Der Äther rändert sich
Gleich einer Glocke rings der Heide;
Von Wolkenschäfchen ein Gewimmel
Befleckt den blauen Himmel.

Bestimmt: das Wetter ändert sich.

Vorwärts! - und rüstig fort!

Was Blaues seh' ich dort
Über dem Weg, immer am selben Ort
Wimmeln und wispeln geschwind
Und im Kreise sich dreh'n wie der Wirbelwind?

Enzianen scheinen's aus der Ferne;
Noch eher ein Geschwister blauer Augensterne;
Oder am Ende vielleicht ein kristallen
Bruchstückchen Himmel, auf den Berg gefallen.

Allein am Himmel müßt' ich doch
Entdecken irgendwo ein Loch;

Enzianen könnten sich nicht rühren;
Und wären's blaue Augen, was ich seh',
Ich müßt' es spüren,
Es tät' mir weh.

Leise! - - - durchs Weggeleise!

Und als ich nun verwundert näher ging,
Da war es wohl ein gutes Hundert Schmetterling,
Die Engelflügel, winzig von Natur,
Vom wahrsten, klarsten himmlischen Azur.
Die Einen schwärmten kreuz und quer
Wirbelnd und kreiselnd in der Luft umher;
Ein andrer Knäuel sog
An einem Pfützchen Wasser unterm Brunnentrog.
Dort klebten sie in dichten Truppen
Trinkend und schmausend an der spärlichen Oase.
Blau schien der Weg, besät mit Himmelsstaub und -Schuppen.
Und immer neue Völker, schwärmender Ekstase
Stürzten von oben her in blauen Schnuppen.

Und all' das Steigen, Fallen und Bewegen
War von Lazur ein Engelregen.

Einstweilen - - - laß' uns hier weilen!
Mein Herz ist weit,
Und merk' ich etwas Schönes, hab' ich immer Zeit.

Doch als ich auf dem Baumstamm überm Born
Schickte mich an ein Lager zu bereiten,
Sieh' da begann ein solcher Zwerg
In großem Zorn
Feindlich an mich heranzureiten,
Mit Spieß und mit Flamberg -
Und aufgerecktem Horn,

Sachte! mein tapfrer Held! - Allmend ist dieses Feld!

Zwar will ich euch in eurem Trunk nicht stören,
Allein der Strunk darf jedermann gehören.
Nach diesem ballte sich die Wolke
Und tanzte Ball mit allem Volke;
Schwingend die blauen Fahnen
Und springend auf den Enzianen
Den Ringelreigen von der "schönsten Jungfer."

Das war ein Bild von Lust und Leben froh!
Und eh' ich mir's bewußt, so macht' ich's ebenso;
Springend im Herzen von der schönsten Jungfer
Und dichtend wie es quoll,
Den ganzen Himmel voll.

Verschwunden waren Berg und Heide,
Ich saß auf einer schönen, reinen Engelweide.

Frieden. - Was mich bewegte, ließ ich nieden.

Hört' ich nichts knittern? und etwas rauschen?
Warum dies Zittern und bange Lauschen?

- Plötzlich zehn Finger mit verschränkter Hand
Umspannten mein Gesicht mit rosiger Wand:

""Rate, wer bin ich?""

"Dies Rätsel gewinn ich:
Zwei Lippen zum Nippen,
Zwei Augen, die nichts taugen,
Ein Zünglein zum Schneiden,
Und ein Mäulchen zum Beneiden,
Das Ganze, das ich hab' im Sinn,
Ist eine Männermörderin.
Gott sei mir armen Sünder gnädig!
- Laß' mich nun los und gib mich ledig!"

Was blieb da lang zu streiten nötig?
Sie zu begleiten war ich rasch erbötig.
Doch wie wir jetzt vorüber der Oase
Schritten dem Tal entgegen - Hu!!
Saß ein Blauvögelein im Nu
Kribbelnd auf meiner Nase.
Das kitzelt' und kritzelt' und blinzte mir zu: ""Du!
Das war ein Rendezvous!
Bekenn!""

"Und wenn?"

Carl Spittlerer

Carl Spittlerer (1845 – 1924), Schweizer Dichter, Romanautor, Schriftsteller. Nobelpreis für Literatur 1910. Pseudonym: Carl Felix Tandem

Zitronenfalter I

Mit feuchten Blicken und mit träumerischen Sinnen

Zitronenfalter I

Aufrechten Hauptes eine Jungfrau eifrig schrieb.

Da blitzt' ein Maigewittersturm herein und trieb
Kastanienblüten streuend auf die nassen Blätter.
Und mitten in dem Blütensturm und Maienwetter
Ein gelb Oranien-Vögelein, im Todesbangen
Zitternd und sterbend, blieb an ihrem Finger hangen.

Da holte sie ein neu' Papier mit sachter Hand,
Und auf den Tisch gebeugt, seitwärts das Haupt gewandt,
Mit feuchten Blicken und mit träumerischem Sinnen
Entschloß sie sich, ein ander Schreiben zu beginnen.

Also mit seinem Sterben ein Zitronenfalter
Erschmeichelte das Lebensglück dem Brieferhalter.

Carl Spittlerer

Carl Spittlerer (1845 – 1924), Schweizer Dichter, Romanautor, Schriftsteller. Nobelpreis für Literatur 1910. Pseudonym: Carl Felix Tandem

Zitronenfalter II

Zitronenfalter II

"Geh weg! du häßlich Gretchen! Was kommt dir in den Sinn,
So nah' bei mir zu stehen, die ich so lieblich bin?"
So rief die schöne Stephie. - Da kam ein gelbes Ding
Von Schmetterling geflogen, den sie behende fing.

Das Gretchen trat daneben, vergessend ihren Zwist:
"Nicht wahr? du läßt ihn leben? - Da er so lieblich ist."

Carl Spittlerer

Carl Spittlerer (1845 – 1924), Schweizer Dichter, Romanautor, Schriftsteller. Nobelpreis für Literatur 1910. Pseudonym: Carl Felix Tandem

Pfauenauge

Bis daß nach langer Zeit an einem Mai

 Pfauenauge

Ein kühles Schloß, ein schattiger Palast von Nesseln. -

Dicke Marienkäferchen mit rundem Schild
Reisen geschäftig trippelnd durch die Jalousien.
Zuoberst unterm Dache, am Mansardenfenster
Sitzt äsend eine schwarze, blaugeperlte Raupe.

Plötzlich ein dunkler Tulpenschein verdeckt die Aussicht -
Und schlüpfend in die Nesseln durch das schmale Fenster
Ein Pfauenauge zieht in seine Jugendheimat.

Flatternd durcheilt es die geliebten Säle, rot
Mit blut'gem Flammenlicht erhellend den Palast.

Plötzlich entspringt es durch die Tür. Ein Blitz. Verschwunden.

Aber die Raupe, ob dem Purpurflammenspiel
Jählings erfaßt von unnennbarer Seelensehnsucht,
Steigt auf das Dach und klettert an der steilen Mauer
Empor zum Sims. Daselbst, hangend in freier Luft,
Spinnt sie sich ab von aller Welt und träumt und dichtet.

Ob ihrem Träumen färbt und schildert sich ihr Wesen;
Ob ihrem Dichten füllt sie sich mit rotem Herzblut;
Während die Wintersonne, glitzernd überm Eis,
Schmückt ihr den Helm mit Gold und stählt den Schild und Panzer.

Bis daß nach langer Zeit an einem Mai und Morgen
Die Grille zirpt und schreit die Lerche überm Saatfeld:

Da zwängt und drängt sie sich ans Licht nach heft'gen Krämpfen
Und weint fünf Tropfen zähen Blutes. Plötzlich - ha! -

Bin ich es selbst? Mich dünkt, ich spüre Geist und Flügel!
Es hebt und trägt mich! Auf! empor zum hohen Himmel!
Gefahr zu suchen und die weite Welt zu messen.

Das höchste Los und Glück auf Erden nenn' ich mein:

Leibhaft zu wissen meinen besten Seelenschein
Und was ich vormals stumm bewundert selbst zu sein.

Carl Spittlerer

Carl Spittlerer (1845 – 1924), Schweizer Dichter, Romanautor, Schriftsteller. Nobelpreis für Literatur 1910. Pseudonym: Carl Felix Tandem

Distelfalter

Ein Brücklein überspringt die hohen Gartenmauern

 Distelfalter

Ein Brücklein überspringt die hohen Gartenmauern,
Und aus dem Brücklein überwuchern Hängeblumen,

Drunten im kühlen, mitternächt'gen Straßendurchgang
Blitzen, das Weberschiffchen streichend, flinke Fliegen.

Aber von oben, aus den riesigen Platanen
Durchs Blättersieb mit träumerischem Feuerregen
Rieseln die Sonnentropfen in den finstern Durchgang.

Da sprach zur Sonnenkönigin ein Distelfalter:

"Komm! schaff mir eine Leiter." Und sogleich die Sonne
Mit letzter Kraft sich drückend durch das dichte Laubwerk,
Stellt' einen breiten Strahl als Leiter auf das Brücklein.

Hüpfend vor Schwebelust, bestieg der Distelfalter
Die steile Leiter. Und mit klugem Flügelschlag
Das Gleichgewicht erzielend, sprang er leicht und tänzelnd
Die Stufen abwärts in den sonn'gen Blumennimbus.
Dort schaukelt' er und ritt, ein luftig Perpendikel,
Der Schönheit selbstbewußt und selbst die Schönheit schmückend,
Saugend und hauchend in den knospenden Gehängen.

Rötlichen Blumenscheins sein rostiges Gefieder
Zuckt' an den Schnüren und Girlanden auf und nieder.

Da rief vom Garten mit metallischem Geschrei
Ein Pfau. - Und alsobald der scheue Distelfalter
Mit Rösselsprüngen lief bergan die schwanken Stufen.

Dann hielt er auf der Lauer hinter den Platanen.

Doch als nun kein Geräusch und kein Ereignis weiter
Störte die Friedensruh, sprengt' er die sonn'gen Bahnen
Wieder herab zum Brücklein auf der Himmelsleiter.

Damals der Weltengeist, die weite Welt bereisend,
Zwar Städt' und Berg' und Täler maß sein Seherauge
Und Aller Leid empfand er in dem großen Herzen;

Doch unterm Brücklein, im bescheid'nen Straßendurchgang
Lehnt' er am Stein und schrieb es zum Vermächtnis
Des Allerseelentags ins ewige Gedächtnis.

Carl Spittlerer

Carl Spittlerer (1845 – 1924), Schweizer Dichter, Romanautor, Schriftsteller. Nobelpreis für Literatur 1910. Pseudonym: Carl Felix Tandem