Der Bach

Du Bach, der unter übergebogenem
Gesträuch

Der Bach
1797

Du Bach, der unter übergebogenem
Gesträuch, und weißem Glimmergeschiefer, sanft
Wie Flöten aus der dunkeln Grotte
Jener bewurzelten Felswand rieselt;

An deinem Rand, der moosig und sanft sich hebt,
Vom Blätterdach vor jeglichem Späheraug',
Und Sonnenblick beschirmt, vergeß' ich
Menschen und Welt und Wunsch und Sorge.

In süßer Ruhe schwanken in's Gleichgewicht
Der Leidenschaft Schaalen; Vergangenheit
Und Zukunf, schwinden im Genuße
Seeliger Gegenwart, matt und dämmernd.

Genuß des Augenblickes! O seltnes Glück
Dem Sterblichen, der immer mit schnellem Fuß
hervor strebt, bald voraus bald rückwärts
Schaut, und darüber des Weges Blumen

Jetzt übersieht, und jetzt zu Boden tritt!
O Quell, der du der Seele die Luft gewährst,
Gewisslich aus der Seeli'gen Fiuren
Sprudelst du aufwärts, im Ausflluß Lethes!

Theone und Nina

Die Gegenwart ist um Verhältnis

ebenso wie die Gegenwart der Zukunft

Die Gegenwart ist um Verhältnis zur Vergangenheit Zukunft,
ebenso wie die Gegenwart der Zukunft gegenüber Vergangenheit ist.

Darum, wer die Gegenwart kennt, kann auch die Vergangenheit erkennnen.
Wer die Vergangenheit erkennt, vermag auch die Zukunft zu erkennen.

Lü Bu We 呂不韋 / 吕不韦

Lü Bu We(300 – 236 v. Chr.), chinesischer Philosoph, Politker, Kaufmann

Weissagung

An der Eiche Sprössling gelehnt, von hellen Düften umhüllt

Weissagung 1773

An der Eiche Sprössling gelehnt, von hellen
Düften umhüllt, stand die Telyn, und schnell
Erscholl sie von selbst; doch ich liess
Unerweckt sie mir erschallen.

Da entströmt' ihr rascher Verdruss, da zürnte
Wirbelnd ihr Ton! Eilend ging ich, und nahm
Die drohende, dass sie dereinst
Zum Vergelt nicht mir verstumte.

Aus des Rosses Auge, des Hufs Erhebung,
Stampfen des Hufs, Schnauben, Wiehern und Sprung
Weissagten die Barden; auch mir
Ist der Blick hell in die Zukunft.

Obs auf immer laste? Dein Joch, o Deutschland,
Sinket dereinst! Ein Jahrhundert nur noch;
So ist es geschehen, so herscht
Der Vernunft Recht vor dem Schwertrecht!

Denn im Haine brauset' es her gehohnes
Halses, und sprang, Flug die Mähne, dahin
Das heilige Ross, und ein Spott
War der Sturm ihm, und der Strom ihm!

Auf der Wiese stand es, und stampft', und blickte
Wiehernd umher; sorglos weidet' es, sah
Voll Stolz nach dem Reiter nicht hin,
Der im Blut lag an dem Gränzstein!

Nicht auf immer lastet es! Frey, o Deutschland,
Wirst du dereinst! Ein Jahrhundert nur noch;
So ist es geschehen, so herscht
Der Vernunft Recht vor dem Schwertrecht!

Friedrich Gottlieb Klopstock 

Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803), deutscher Dichter, Epiker