Doch Liebe, einfach Liebe

ist sie nicht schön und des Nehmens wert

DOCH Liebe, einfach Liebe, ist sie nicht
schön und des Nehmens wert? Es strahlt die Flamme,

Ob Tempel brennen oder Werg. Es bricht
Licht aus dem Abfall und dem Zedernstamme.

Liebe ist Feuer. Und: Ich liebe dich -
- gib acht -: ich liebe dich - wenn ich das sage,
steh ich verwandelt nicht mit einem Schlage
verklärt vor dir? Ich fühle selbst, wie ich

anscheine dein Gesicht. Wo Liebe je
sich niedrig macht, kann sie nicht niedrig werden:
Gott nimmt Geringe an, die sich gebärden

so wie sie sind. Das, was ich fühle, blendet
über dem Dunkeln, das ich bin: ich seh,
wie Liebe wirkend die Natur vollendet.

Elizabeth Barrett-Browning

Elizabeth Barrett-Browning, geborene Elizabeth Barrett Moulton-Barrett (1806 – 1861), englische Dichterin, Schriftstellerin

Die wilden Schwäne

Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen,

Die wilden Schwäne

Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen,
Ich höre, wie der Wind am Fenster rüttelt,
Und meine Träume schwinden ganz dahin.

Ich steige aufwärts in das Aussichtszimmer,
Einst rührt ich hier mit meiner schönen Nadel
Aus Jade sinnend in der Glut der Kohlen.

Jetzt ist die Glut dahin. Es ist vergebens,
Daß meine Nadel durch die Asche tastet,
Ich seh in das Gebirge, schmerzumflort.

Ein grauer Regen düstert in der Landschaft.
Der Nebel weht. Der Fluß wälzt schwere Wogen, -
Doch meinen Jammer wälzt er nicht hinweg.

Auf meines Umhangs dunkelm Tuche schimmert
Der Regen meiner bitterlichen Tränen;
Die wilden Schwäne schreien unter mir.

Ich schüttle meine armen Tränen nieder
Auf die erwachten Vögel, - fliegt, o Vögel!
Bringt meine Tränen ihm, der mich verzehrt!


Li Tsching-dschau

Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao

Fern ist der Mond der Heimat

Aus dem dunklen Meere wächst der Mond herauf

Aus dem dunklen Meere wächst der Mond herauf,
in einem fernen, entfernten Land blüht er jetzt auch auf.
Die Liebe trauert ihren vergeblichen Traum, die Liebe trauert ihren Traum,
sie wartet, auf den entfernten Abend.

Klarer scheint jetzt der Mond in meinen Kummer.
Ich ziehe das Nachtgewand an, kühl ist der Reif.
Hände, meine Hände, wie leer seid ihr, 
das alles auszusprechen! -

Du Schlaf, gib mir einen Traum, du Schlaf, einen Traum gib mir 
über die Rückkehr nach Hause, über die Rückkehr heim, heim.
Schlaf, den Traum kannst du mir nicht geben --
weil meine Sehnsucht mich ununterbrochen weckt.

Chang Chiu-Ling

Chang Chiu-Ling (673 – 740), chinesischer Dichter, Politiker. Auch Zhang Jiuling; Chang Tiou-Lin; Dschang Giu Ling; Tchan-Tiou-Lind.

Vergänglichkeit

Vergänglich ist das festeste im Leben

Vergänglichkeit

Vergänglich ist das festeste im Leben –
Was trauerst Du, daß Liebe auch vergeht?
Laß sie dahin in's Reich der Zeiten schweben,
Leicht, wie des Lenzes Blüthenhauch verweht.

Doch halte fest ihr Schattenbild im Herzen,
Und segne dennoch freudig Dein Geschick,
Schließt auch sich eine Reihe bittrer Schmerzen
An Deines Glückes kurzen Augenblick.

Du hast gelebt, denn Liebe nur ist Leben!
Sie nur allein webt um den dunklen Traum,
Dem wir den Nahmen unsers Daseyns geben,
Der höchsten Wonne glanzerfüllten Saum.

So zürne nicht des Schicksals finstern Mächten,
Wenn sie des Lebens Sonne Dir entziehn.
Nicht ewig läßt sie sich in unsre Bahn verflechten,
Ach, sei zufrieden, daß sie einst Dir schien.

Natalie

Charlotte von Ahlfeld

Charlotte Elisabeth Luise Wilhelmine von Ahlefeld (1781 – 1849). Pseudonyme: Elisabeth Selbig, Natalia, Emetine, Frau Charlotte Seebach Felicitas, Elise Selbig, Marie Müller. Deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Der Bach

Du Bach, der unter übergebogenem
Gesträuch

Der Bach
1797

Du Bach, der unter übergebogenem
Gesträuch, und weißem Glimmergeschiefer, sanft
Wie Flöten aus der dunkeln Grotte
Jener bewurzelten Felswand rieselt;

An deinem Rand, der moosig und sanft sich hebt,
Vom Blätterdach vor jeglichem Späheraug',
Und Sonnenblick beschirmt, vergeß' ich
Menschen und Welt und Wunsch und Sorge.

In süßer Ruhe schwanken in's Gleichgewicht
Der Leidenschaft Schaalen; Vergangenheit
Und Zukunf, schwinden im Genuße
Seeliger Gegenwart, matt und dämmernd.

Genuß des Augenblickes! O seltnes Glück
Dem Sterblichen, der immer mit schnellem Fuß
hervor strebt, bald voraus bald rückwärts
Schaut, und darüber des Weges Blumen

Jetzt übersieht, und jetzt zu Boden tritt!
O Quell, der du der Seele die Luft gewährst,
Gewisslich aus der Seeli'gen Fiuren
Sprudelst du aufwärts, im Ausflluß Lethes!

Theone und Nina

Der Würfel

Ich bin mir selbst nicht völlig zum Gewinn

Der Würfel

Ein Würfel sprach zu sich: "Ich bin
mir selbst nicht völlig zum Gewinn!

Denn meines Wesens sechste Seite,
und sei es auch Ein Auge bloß,
sieht immerdar, statt in die Weite,
der Erde ewig dunklen Schoß."

Als dies die Erde, drauf er ruhte,
vernommen, ward ihr schlimm zu Mute.

Du Esel," sprach sie, "ich bin dunkel,
weil dein Gesäß mich just bedeckt!
Ich bin so licht wie ein Karfunkel,
sobald du dich hinweggefleckt.

Der Würfel, innerlichst beleidigt,
hat sich nicht weiter drauf verteidigt.

Christian Morgenstern

Christian Morgenstern (1871 – 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer

Wenn die Sterne scheinen

Sieh, nun ist es dunkel ‚worden,

 Wenn die Sterne scheinen

Sieh, nun ist es dunkel 'worden,
Alles schläft in weiter Welt,
Nur die Sterne wallen leise
Ihren Weg am Himmelszelt.

Und der leuchtendste von allen,
Jener dort im weißen Kleid,
Schaut mit seinen heil'gen Augen
Still in uns're Einsamkeit.

Sanfter nun die Herzen schlagen,
Auf der Lippe schläft das Wort,
Und die Seelen wandern heimlich,
Hand in Hand zum Himmel fort. 

Anna Ritter

Anna Ritter, geborene Nuhn (1865-1921), deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Wenn der Jasmin vor meinem Fenster blüht

wenn Stille herrscht, blutrot der Vollmond glüht

Wenn der Jasmin ...

Wenn der Jasmin ……

Wenn der Jasmin vor meinem Fenster blüht,
wenn Stille herrscht, blutrot der Vollmond glüht,
dann kommt die Sehnsucht mit der Mitternacht,
wo alles schläft – nur mein Verlangen wacht,
es bläst mit Feueratem zu mir her
und fordert Liebe! … Liebe? Noch viel mehr!
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Die Nacht vergeht mit müdem, schweren Schritt.
O nähm sie mich ins ewge Dunkel mit!
Der Morgen naht in fahlem Nebelgrau,
einsam, verzweifelt lieg ich arme Frau
und späh mit heißen Blicken rings umher
nach Liebe – doch mein Pfühl bleibt liebeleer.

 Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube

Die Nacht

Am Himmel ist gar dunkle Nacht

Die Nacht

Am Himmel ist gar dunkle Nacht;
Die müden Augen zugemacht
Hat längst ein jedes Menschenkind;
Es wacht nur noch der rauhe Wind.
 
Der jaget sonder Rast und Ruh
Die Fensterläden auf und zu,
Die Wetterfahne hin und her,
Daß sie muß ächzen und stöhnen schwer.
 
Doch sieh! aus jenem Fenster bricht
In's Dunkel noch ein mattes Licht.
Wer ist's wohl, der in tiefer Nacht.
Bei seiner Lampe einsam wacht
 
Ich schleiche dicht an's Fensterlein,
Schau' durch die runde Scheib' hinein,
Und einen Jüngling zart und schön
Seh' ich an einem Bette stehn.

Und wie ich nach dem Bette schau',
Da schlummert eine kranke Frau.
Er bückt sich über's Bett hinein,
Es muß des Knaben Mutter sein.
 
Vom Bette läßt er nicht den Blick,
Er streicht das braune Haar zurück,
Sacht' hält er ihr das Ohr zum Mund,
Ob sie noch athme zu dieser Stund.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

The sea child

Peace, go back to the world

Into the world you sent her, mother,
Fashioned her body of coral and foam,
Combed a wave in her hair's warm smother,
And drove her away from home

In the dark of the night she crept to the town
And under a doorway she laid her down,
The little blue child in the foam-fringed gown.

And never a sister and never a brother
To hear her call, to answer her cry.
Her face shone out from her hair's warm smother
Like a moonkin up in the sky.

She sold her corals; she sold her foam;
Her rainbow heart like a singing shell
Broke in her body: she crept back home.

Peace, go back to the world, my daughter,
Daughter, go back to the darkling land;
There is nothing here but sad sea water,
And a handful of sifting sand.

Katherine Mansfield

Kathleen Mansfield Beauchamp (1888 – 1923), neuseeländische Schriftstellerin, Kritikerin, Erzählerin, Autorin von Kurzgeschichten