Der Wetterhahn und die Glocken

Die Glocken auf dem Kirchturm griffen

Der Wetterhahn und die Glocken

Die Glocken auf dem Kirchturm griffen,
Des Nachts, wenn Pfarr und Glöckner schliefen,
Zuweilen einen Wetterhahn,
(Der in der Nachbarschaft, der Kirche rechter Hand,
Auf einem großen Hause stand)
Mit vielen losen Reden an.

Herr Nachbar! schrieen sie, was macht ihr? Schlaft ihr schon?
Wann kräht ihr denn einmal? Habt ihrs denn gar verschworen?
Ihr seid wohl nimmermehr der weißen Henne Sohn;
Ohn Zweifel seid ihr stumm geboren;
Ihr würdet euch wohl sonst, wenn andre Hähne krähn,
Nicht stets so maulfaul finden lassen,
Und wenigstens des Nachts die Antwort nicht verpassen.
Ihr dürft ja nur auf unser Beispiel sehn.
Wenn eine von uns klingt, gleich stimmen wir mit ein;
Man hörts auch wohl recht weit, wenn wir zusammen schrein,
Des Sonntags sonderlich, da kommt das Volk mit Haufen
Aus allen Häusern zugelaufen,
Wenn in der Kirche gleich ein Brand entstanden wär.
Zuweilen kommt ein ganzer Schwarm von Jungen,
Die unser Schall erregt, den Weg daher gesungen;
Gleich hinter diesen geht ein langer finstrer Mann,
Der gar erschrecklich trillern, kann.
Und alle Kinder überschreit;
Drauf folgt ein alter Herr, der aus Vergessenheit,
(Die ihn von ungefähr vielleicht dazu bewogen)
Das Hemde übern Rock gezogen;
Acht Männer wandern hinterher,
Die einen langen Kasten tragen,
Um welchen man ein schwarzes Tuch geschlagen;
Es muß darin was sein, sie tragen oft sehr schwer;
Drauf kommt die halbe Stadt, mit gleichgestellten Paaren,
Das Mann und Weibervolk in zwei besondern Scharen,
Die zweifelsohne, aus Furcht, es möcht ein Bad entstehn,
Gemäntelt und geschleiert gehn;
Wiewohl das können wir so eigentlich nicht wissen.
Doch weil es allemal auf unsern Ruf geschieht,
Daß Schul und Bürgerschaft so reihenweise zieht:
So scheint es, daß wir sicher Messen,
Daß man es uns zu ehren tut.

Wohl! sprach der Wetterhahn, dies alles ist schon gut,
Ich habe nichts dawider einzuwenden.
Ich will euch auch gar gern den Vorzug zugestehn;
Allein das muß mir nahe gehn,
Daß ihr, mich und mein Tun zur Ungebühr zu schänden,
Und nichts aus mir zu machen, willens seid.
Wem geht dadurch was ab, weil ich beständig schweige?
Ich bin ein Wetterhahn. Wenn ihr als Glocken schreit:
So tut ihr, was ihr sollt. Wenn ich den Wind recht zeige:
So hab ich gnug getan. Deswegen steh ich hier,
Und mehr verlangt man nicht von mir.

Wenn ich nur meiner Pflicht vollkommen Genüge tu:
So mutet mir ein Narr umsonst was anders zu.
Wenn Hans ein Seiler ist: Man sei mit ihm zufrieden,
Wenn er nur gute Stricke macht;
Fehlt ihm die Wissenschaft, das Eisen recht zu schmieden:
Wenn das der Schmied nicht weis, so wird er ausgelacht.

Daniel Stoppe (1697-1747), deutscher Schullehrer, Dichter, Schriftsteller